Neue Schweizer Notfallnummer 142: Politikerin fordert Sticker auf Milchverpackung
Rekordverdächtige 15 Jahre hat die Schweiz gebraucht, um eine nationale Notrufnummer für Opfer häuslicher Gewalt einzurichten. Erklärt wird diese eher unrühmliche Geschichte mit vielen föderalen, administrativen und technischen Komplikationen. Im kommenden Mai soll es dann endlich so weit sein, wie Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider verspricht.
Dann soll die neue Helpline 142 den Betrieb aufnehmen. An diese nationale Kurznummer sollen sich Opfer von häuslicher Gewalt rund um die Uhr wenden können. Dort bekommen sie Soforthilfe, Beratung oder die nötigen Kontakte zu weiteren Stellen.
Die mehrjährige, nationale Sensibilisierungskampagne gegen häusliche und sexuelle Gewalt ist bereits im November gestartet – mit Plakaten, Flyern und Videos auf verschiedenen Social-Media-Kanälen. «Das ist gut», sagt SP-Nationalrätin Simona Brizzi. «Aber das reicht nicht.» Zu flüchtig sei diese Art von Kommunikation.
Konkret denkt Brizzi an «Logos oder Stickers auf Mehlpackungen, Milchprodukten oder an Plastik- oder Papiersäcke, die wir zum Einkaufen brauchen.» Dafür müsste die Politik die Detailhändler an Bord holen.
Brizzi hat ihre Idee beim regelmässig stattfindenden Austausch zwischen den Parlamentariern der Sozialdemokraten mit «ihrer» Bundesrätin eingebracht. Baume-Schneider war sofort interessiert. Bei ihrem Auftritt am Netzwerkanlass der parlamentarischen Gruppe Frauen Mitte Dezember lobte die Bundesrätin die Idee «aus dem Parlament», wie sie sagte, und signalisierte ihre Unterstützung. Zudem brachte sie ihre Hoffnung und Zuversicht zum Ausdruck, dass der Detailhandel hier mitmache. Entsprechende Arbeiten hätten begonnen.
Der Detailhandel prüft die Anfrage
Auf Nachfrage reagiert das zuständige Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EGB) im Departement von Baume-Schneider zurückhaltender. «Es handelt sich dabei um erste Überlegungen im Zuge der Vorbereitung der nächsten Schritte dieser mehrjährig angelegten Kampagne», sagt Co-EGB-Geschäftsführerin Stéphanie Lachat. «Bis heute ist noch nichts endgültig beschlossen.»
Wie CH Media weiss, wurde aber etwa die Migros in dieser Sache kontaktiert. Diese will sich auf Anfrage nicht äussern und verweist auf den Branchenverband IG Detailhandel. Auch dort ist Baume-Schneiders Team aktiv. «Tatsächlich wurden wir kürzlich vom Eidgenössischen Departement des Innern kontaktiert», sagt Manuel Toma von der IG Detailhandel. «Die Anfrage wird zurzeit geprüft.»
Für die Idee, Alltagsprodukte zur Bekanntmachung der 142er-Nummer zu nutzen, hat sich Brizzi von einer «erfolgreichen Kampagne aus den nordischen Ländern inspirieren lassen», wie sie erzählt. So gab es zum Beispiel in den 1980er- und 1990er-Jahren in Schweden eine Kampagne zur Gewaltprävention bei der Kindererziehung. «Mit Slogans auf den Milchpackungen wurden die Menschen für die Thematik sensibilisiert», sagt Brizzi. Ein paar Jahre später hätten die nordischen Länder dann «die körperliche Züchtigung von Kindern» verboten. Brizzi interessiert sich als Dozentin an einer Pädagogischen Hochschule grundsätzlich für Erziehungs- und Bildungsthemen. So ist sie auch auf die Kampagnen aus den nordischen Ländern gestossen.
Suche nach Vermissten
Den Wert von Lebensmittelverpackungen als Kommunikationsplattform haben auch andere entdeckt. In den 1980er-Jahren platzierten in den USA einige Molkereien Suchaufrufe mit Fotos von vermissten Kindern auf ihren Milchkartons. Später fanden sich Suchvermerke und Fotos vermisster Kinder auf Pizzakartons oder Einkaufstüten. Sie verschwanden allerdings ein paar Jahre später wieder, als Kinderpsychologen davor warnten, dass Kinder beim Frühstück unnötig verängstigt würden.
Seit rund einem Jahr sorgt der deutsche Smoothie-Hersteller True Fruits für Schlagzeilen, weil er die Behörden in der Aufklärung von ungeklärten Vermisstenfällen unterstützt. Dazu druckt er immer wieder Fotos von vermissten Personen auf seine Flaschen. Die Reaktionen fielen gemischt aus, vor allem weil die Smoothie-Firma bereits in der Vergangenheit mit provokativen Auftritten für Kritik sorgte. Der Verdacht lag nahe, dass es sich letztlich um eine PR-Aktion in eigener Sache handelte. (aargauerzeitung.ch)
